Geschichte von Taki
Seit Entstehung von Takigakure
Sengoku Jidai
Am Anfang der Geschichtschreiber Takigakures steht Sengoku Jidai, die Zeit der streitenden Reiche. Nachdem die Kunst des Ninjutsu zur Blüte seiner Macht aufgestiegen war, durchstriffen zahllose Clans die Lande, ein jeder mit seinen eigenen Fähigkeiten und Ansichten über die Welt. Sie waren Söldner, die von den Ländern bezahlt wurden und alle bisher gekannten Waffen und Armeen überflüssig machten. Diese Kraft, die vielen zunächst wie ein Segen erschien, wurde schnell zu einem Fluch als sich angeblich selbst der Himmel in blutiges Rot aufgrund der endlosen Schlachten färbte, die auf der Erde ausgetragen wurden. Als sich die zwei mächtigsten Clans im Reich des Feuers zusammenschlossen und Konohagakure gründeten, geschah ein Umdenken in vielen Ninjaclans die diesem Beispiel folgten. Es war deutlich geworden das es keinen Sinn mehr hatte nur dem eigenen Clan Treue zu schwören: Um zu bestehen brauchte es Bündnisse mit anderen Gruppierungen. Je stärker die zu schmiedende Allianz umso mehr Macht für die Beteiligten.
Gründung des Dorfes - 85 Jahre vor Ende des Bluterbenkrieges
In diesen Jahren versammelten sich vier der örtlichen Ninjaclans an dem Baum, den wir heute Taki-Baum nennen:
Die Kagetoya (Krieger), die Shiazu (Strategen), die Fuyou (Heilung) und die Nanaya (Tarnung).
Sie schlossen einen Pakt und schworen untereinander Treue an diesem Baum, der zu dieser Zeit noch ein gewöhnlicher war und erst Jahrzehnte später zu wahrer Berühmtheit gelangen sollte. Entgegen häufiger Annahme wurde Takigakure auf Vorschlag der Fuyou und Nanaya hin als Demokratie gegründet, da sich die verfeindeten Clans der Kagetoya und Shiazu auf keinen Anführer einigen konnten. Takigakure wurde vom Ältestenrat geführt, welcher aus den Anführern der jeweiligen Clans bestand und hatte zu Beginn mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Durch die schier endlose Bedrohung und zahlreiche Überfälle entwickelte Takigakure bereits sehr früh fähige Verteidigungsmechanismen und Finten, mit denen sie selbst übermächtige Feinde erfolgreich abwehren konnten. Niemals gelang es einem Feind Fuß in Takigakure zu fassen und der Frieden im verborgenen Dorf machte den Rat der Ältesten leichtsinnig und überheblich.
Der Fall Kakuzu und Kagetoya-Dynastie - 65 Jahre vor Ende des Bluterbenkrieges
Der Fall Kakuzu sorgte für besonderes Aufsehen im Dorf und beeinflusste es bis heute. Nachdem der Jounin Kakuzu bei einem Auftrag scheiterte der die Ermordung des Hokages im Sinn hatte, mit dem Takigakure im Krieg war, erfuhr er bei seiner Rückkehr eine starke Ignoranz und Ablehnung. Er wurde mit Strafen belegt, denen er sich mit unerwarteter Gewalt erfolgreich widersetzen konnte. Bei seiner Flucht kam der gesamte Ältestenrat ums Leben, was für große Debatten in den Clans sorgte.
Als Ieyasu Kagetoya sich zum neuen Oberhaupt erklärte, gab es niemanden der ihm zu widersprechen wagte. Mittlerweile hatten sich weitere Clans in Takigakure angesiedelt und viele von ihnen hielten den mächtigen Kagetoya die Treue, sodass jeder Widerspruch in einem Bürgerkrieg hätte enden können.
Der Aufstand und Shiazu-Dynastie - 28 Jahre vor Ende des Bluterbenkrieges
Viele Jahrzehnte lang herrschte in Takigakure eine angespannte Stimmung, doch keine Seite wagte es diesen trügerischen und wackeligen Frieden zu brechen. Das Dorf hatte viele Fortschritte gemacht. Es gelang ihm seine Macht auszubauen und von Taki als offizielles Ninjadorf anerkannt zu werden. Seine Ninja sicherten nun nichtmehr einzig das Dorf, sondern das gesamte Land stand unter dem Schutz und der Verwaltung der Ninja aus Takigakure.
Dennoch folgte das unvermeidliche erneut aus einer im Leichtsinn geborenen Handlung heraus: Als Ieyasu Kagetoya sich in einer Schlacht dazu entschied eine Kompanie seiner Shinobi für den Sieg zu opfern, musste er die Folgen seiner Handlung am eigenen Leib spüren. Die Kompanie unter Führung von Kenshin Fuyou schaffte es entgegen aller Wahrscheinlichkeiten nicht nur zu überleben, sondern die gesamte Schlacht beinahe im Alleingang zu entscheiden. Als sie anschließend zurückkehrten, wandten sie sich offen gegen die Ninja welche sie im Stich und zum Sterben zurückgelassen hatten. Die Shiazu, welche wohl nur auf eine solche Gelegenheit gewartet hatten, schlossen sich mit den Fuyou zusammen was letztlich auf den Tod Kagetoyas und dem Ende seiner Dynastie noch auf diesem Schlachtfeld hinauslief.
Daheim in Takigakure wurde Shingen Shiazu als neues Dorfoberhaupt etabliert, mit großer Unterstützung der Fuyou und einiger jüngerer Clans, welche sich im Laufe der Jahre um die Shiazu und Fuyou geschart hatten.
Unter den Shiazu änderte sich nach Aussen hin wenig, da sie an den Pfaden der Kagetoya festhielten und diese trotz des Zwischenfalls nicht als Verräter deklarierten. Dennoch war dies das offizielle Ende des Clans, denn während die Kagetoya mehr und mehr Verbündete in Takigakure verloren, schwand auch der Clan bis sich im folgenden Bluterbenkrieg ihre Spuren komplett verloren.
Takigakure im Bluterbenkrieg
Während des Bürgerkrieges erlebten viele Einwohner und Ninja eine Schockphase die selbst nach dem Ende des Krieges noch viele Jahrzehnte lang anhalten sollte. Sie erkannten, das ihre Sicherheit nicht von selbst gegeben war. Obwohl es den Ninja gelang jeden Eindringling vom Dorf fern zu halten, hatte das Dorf viele Verluste und Tragödien zu beklagen, viele die heimkehrten waren nicht mehr dieselben wie vorher und erzählten erschreckende Geschichten über all die Bluterbler gegen die sie hatten kämpfen müssen.
Folgen des Krieges und Ashura-Dynastie - Monate nach Ende des Bluterbenkrieges
Wenige Monate nach Ende des Krieges musste auch Shingen Shiazu zurücktreten, der sich in einer der letzten großen Schlachten schwere Verbrennungen zugezogen hatte. Zur Überraschung vieler ernannte er Mifune Ashura zu seinem Nachfolger, nachdem dieser sich in zahlreichen Schlachten hervorgetan hatte. Damit war er der erste Anführer Takigakures der aus keiner der vier Gründerfamilien stammte, deren Population sich im Krieg ohnehin deutlich reduziert hatte. Der Ältestenrat wurde neu geordnet, sodass auch Mitglieder der niederen Clans Zugang zu diesem hatten, was die Machtstellung der Gründerfamilien endgültig brechen sollte.
Nachdem sich die Defensive als besonderes Markenzeichen der Shinobi aus Takigakure etabliert hatte, begann Mifune eben dieses noch auszubauen. Die alten Verteidigungsanlagen wurden verstärkt und Sicherheitskontrollen für Aus- und Einwanderer verschärft. Waffen wurden entwickelt und verbessert, während den Einwohnern die Gefahr der Aussenwelt eingeprägt wurde, der die heimische Sicherheit des Dorfes gegenüberstand.
Takigakure begann sich für einen Krieg zu rüsten, der nicht kommen sollte.
Zeit des Friedens und Musou-Dynastie - 42 Jahre nach Ende des Bluterbenkrieges
Nach einem friedlichen, wenn auch überraschendem, Tod Mifunes, wurde Kessen Musou vom Ältestenrat zu dessem Nachfolger ernannt. Während Takigakure sich in der Ashura-Dynastie mehr um die Sicherung seiner Position kümmerte, brach man in der Musou-Dynastie überraschenderweise damit. Potential von Aussen wurden willkommen geheißen und gefördert, während die Ninja-Akademie an gegenwärtige Standards angepasst wurde. In dieser Zeit stießen viele Clans und Familien nach Takigakure, die auch für dessen Entwicklung wichtig sind, wie Jinkou Eigen oder die Familie der Kudo.
Eine Ära des Friedens hatte Takigakure erfasst und viele Ninja wuchsen in dem Bewusstsein auf diesen Frieden erhalten zu wollen. Konflikte waren selten und wurden zumeist gerecht gelöst. Von einigen wurde diese Zeit als wahres Paradies empfunden, andere verurteilten den Leichtsinn mit welchem die Ninja hierdurch behaftet wurden.
Militarisierung und Eigen-Dynastie - 80 Jahre nach Ende des Bluterbenkrieges
Als die Musou-Dynastie mit dem Tod Kessens während einer geheimen Mission endete, gab es große Bestürzung im Dorf als der Ältestenrat zur Überraschung vieler eine Frau namens Jinkou Eigen zum neuen Oberhaupt ernannte. Abgesehen davon dass sie eine Frau war, war sie auch eine Ausländerin ohne feste Wurzeln in Takigakure, was bei vielen Misstrauen erregte.
In der Eigen-Dynastie wurde großer Wert auf innere Sicherheit gelegt. Die Schutzmaßnahmen innerhalb und ausserhalb des Dorfes wurden ebenso verstärkt wie deutlicher spürbar gemacht. Viele Systeme wurden bürokratisiert und auf Effizienz getrimmt, während die ·Shineitai·, die mehrere Dutzend starke Leibgarde des Oberhauptes, etabliert wurde. Es gab das erklärte Ziel aus Takigakure ein Dorf werden zu lassen, welches sich vor den Großreichen nicht weiter würde verbergen müssen. Aussen wurden Bündnisse geschmiedet, Innen wurden Gesetze erlassen.
Zu dieser Zeit traten auch die sogenannten "Söldner" das erste Mal an das Licht der Öffentlichkeit. Menschen ohne Chakra probten mit Schusswaffen den Aufstand gegenüber den mittlerweile etablierten Ninja.
Die Söldner-Ära
Nach den militärisch geprägten Jahren Jinkous, hatte die Gushiken-Ära das erste Mal seit dem Bluterbenkrieg wieder mit einer größeren Bedrohung zu tun: Den Söldnern. Doch anders als in anderen Ländern und Dörfer gab es in Taki no Kuni nur wenig Aktivitäten dieser und die im Vergleich geringe Anzahl der Söldner bereitete den vereinte Kräften der Landesfürsten und des Ninjadorfes kaum Probleme. Da Takigakure ohnehin keine Gefahr durch die Söldner für das einzige wirklich versteckte Dorf sah, zogen sie daher nicht aktiv in den Kampf gegen diese, sondern verteidigten lediglich das Land gegen die wenigen einfallenden Truppen, welche die Städte bedrohten.
Eingriff des Ältestenrates und Gushiken-Dynastie - 85 Jahre nach Ende des Bluterbenkrieges
Die Änderungen während der Eigen-Dynastie sorgten für größeren Widerstand bei den traditionelleren Clans des Dorfes als erwartet, weshalb unter internem Druck der Ältestenrat dazu gezwungen wurde Eigen um den Rücktritt zu bitten. Als Muneyaki Gushiken die Führung des Dorfes übernahm, waren viele erleichtert wieder einen ·wahren Taki-Ninja· an der Spitze zu sehen.
Beginn der Gushiken-Dynastie - 85 Jahre nach Ende des Bluterbenkrieges
Mit Muneyaki Gushiken als neuer Führung des Dorfes ging eine Welle der Erleichterung durch die Reihen der Bewohner des Dorfes, ein Anführer geboren in Takigakure selbst und bereits mit 9 Jahren Absolvent der Akademie. Allerdings blieb ein plötzlicher Umschwung der Politik wieder der Erwartungen aus. Muneyaki zeigte sich viel mehr als zurückhaltend und vorsichtiger Ninja. Selbst einige Monate nach seiner Einsetzung herrschte eine Stille im Zusammenhang mit seiner Politik. Als Muneyaki dann sogar plötzlich für eine Weile lang verschwand fürchteten sowohl der Ältestenrat als auch die Bewohner Takigakures dass die Auswahl ein Fehler gewesen war und sie ihren Anführer nie wiedersehen würden. Doch Muneyaki erschien wider Erwarten wieder an den Toren Takigakures als wäre nichts gewesen, um sich seinen Aufgaben als Dorfoberhaupt des Dorfes zu stellen. Erst einige Wochen nach seiner Rückkehr enthüllte Muneyaki die Intention hinter seinem Verschwinden. Er hat die legendären Wächter aus den vergessenen Geschichten Takis erforscht und als Zeichen der Wertschätzung den Titel des Dorfoberhauptes des Dorfes in den gelben Drachen ernannt.
Die Post-Söldner-Ära
Da die Söldner-Ära keinen großartigen Einfluss auf Takigakure hatte, verlief das Leben im Dorf nach dem Sieg über diese nicht anders ab als zuvor. Es gab, da man sich nicht großartig mit den Söldnern beschäftigt hatte, anders als in anderen Ländern, keine großen technologischen Fortschritte, noch war man auf diese im recht traditionellen Land erpicht. Es gab jedoch erste stärkere diplomatische Berührungen mit den Dörfern Kirigakure und Kumogakure. Diese waren auf die diplomatischen Beziehungen des ehemaligen Dorfoberhaupts Eigen Jinkou zu Kirigakure zurückzuführen, die ursprünglich aus dem Dorf stammte. Über jene Beziehung kamen sie dann auch in Berührung mit Kumogakure, welche schon immer recht eng mit Kirigakure verbunden waren.
Die Dreier-Bündnis-Ära
Das Dreier-Bündnis Kirigakure-Kumogakure-Takigakure hat seine Wurzeln bis in den Bluterbenkrieg geschlagen. Damals entstand der erste Kontakt aller drei Länder miteinander. Auch wenn dieser Kontakt eher negativer Natur gegenüber Takigakure war, so festigte es die Bindung der beiden anderen Bündnispartner. Dieses Verhältnis schob sich jedoch ins positive als Eigen Jinkou Dorfführer wurde, da Eigens Heimatdorf Kirigakure gewesen war, pflegte sie in dieser neuen Position eine recht umsichtige Politik, welche den Grundstein für das künftige Bündnis legte. Zur freundschaftlichen Annäherung begrüßte Takigakure bald eine kleine Delegation Kirigakure-Ninja im Dorf, deren Besuch überraschend gut ausging. Die Anschläge während des Chuuninexamens in Kumogakure festigte ebenfalls diese Beziehung, da Takigakure ihrem neuen Freunden Kirigakure und somit auch Kumogakure bei der Beseitigung der Schäden half. Nach der Eroberung einer Söldnerfestung seitens Kirigakure, wurde diese zum gemeinsamen Besitz der drei Dörfer erklärt und die Bündnisfestung erschaffen. Die letzte Festigung des Bündnisses wurde durch die Katastrophenhilfe während Unwetters erzielt.
Beginn der Kudo-Dynastie - 89 Jahre nach Ende des Bluterbenkrieges
Das Lied des gelben Drachen
Zwischen den Reihen voller Bücher und Schriftrollen in der Bibliothek Takigakures, die oft von großen Personen der Vergangenheit, wichtigen Ereignissen oder Techniken sowie Lehre handeln, findet der Suchende bis weilen ein kleineres unscheinbares Buch. Nur selten wurde das Buch in den letzten Jahren aus der Umarmung seiner größeren Brüder und Schwestern gerissen, um seinen Inhalt dem Suchenden zu offenbaren. Es war in Vergessenheit geraten und gelegentlich, wenn es aus dem langen Schlaf eines von Staub bedeckten Buches für einen Moment, welcher für ein Buch alles zwischen einer Sekunde und einem Jahrhundert sein kann, aufwachte, erinnerte es sich sehnsüchtig daran wie es gewesen war, als noch kleine Kinderfinger es jeden Tag hervorgeholt und die dazugehörigen hohen Stimmen erfreut und laut aus ihm hervor gelesen hatten. Es war abgenutzt ja, aber das stimmte das Buch nicht traurig sondern machte es eher stolz. Die güldene Farbe, mit der sein Schaffer einst den Umschlag beschrieben hatte, hatte ihm eh nie wirklich gefallen und der Zustand sprach in seinen Augen für all die Liebe und Anerkennung, die ihm einst zugekommen war. Und schließlich hatte die Geschichte, mit deren Schutz und Überlieferung es beauftragt worden war, alles Recht auf derartige Zuwendung. Ja das Buch war stolz auf sich selber und wusste, dass es nur lange genug warten müsste, bis es aus seinem Schlaf aufgeweckt werden und seine Geschichte erneut offenbaren würde.
Irgendwann kam dieser Tag und an diesem Tag fand die Sage des gelben Drachens und der Götter wieder Einzug in die Köpfe der Menschen. Wie so oft bei Sagen weiß niemand zu sagen, wie viel wahr und wie viel hinzugedichtet worden war. Aber dies, so wusste das Buch, war nicht die Aufgabe einer Sage. Eine Sage muss die Herzen der Menschen erfreuen, sie mit Hoffnung erfüllen und zum Träumen anregen. Eine Sage lässt bisweilen alte Männer genauso wie kleine Kinder mit verträumten Blicken die Welt um sich herum betrachten und sich vorstellen, wie es wohl damals an diesem Ort ausgesehen haben könnte. Eine Sage schließlich steht für eine Lektion und Beispiel, Lehre und Wissen.
Und so erzählt das Buch die Geschichte:
Prolog
Vor langer Zeit, als die Menschheit noch jung war und mit den großen Augen eines kleinen Kindes die Welt um sich herum betrachtete, herrschte die Natur über das Leben eines jeden Lebewesens mit einer Hand, die zugleich sanft wie ein kühler Windstoß im drückenden Sommer als auch hart wie der Kern eines großen Gebirges war. Der Mensch, genauso wie alle anderen Lebewesen ob Tier, Pflanze oder Stein kämpfte jeden Tag um sein Überleben. Aber nicht Angst oder Ohnmacht vor den Strapazen bestimmten sein Leben, sondern Freude und Glück über die einfachsten Dinge. Er war glücklich, wenn er mit vollem Magen einen warmen und sicheren Schlafplatz gefunden hatte. So herrschte die Natur und die Tiere, die teilweise älter als die Menschen waren, wuchsen zu prächtigen Gestalten heran. Hört man heute von Erzählungen aus jener Zeit, so wirken die Geschichten von dem riesigen Wald, der den Großteil des Kontinents bedeckte und von ebenso riesigen Tiergottheiten bevölkert war, wie die Märchen eines alten wirren Greises. Aber der Menschheit Kindeswiege war dies Umfeld beschützt vom großen Schatten des Waldgottes. Irgendwann jedoch fängt jedes Kind an sein Umfeld zu verändern und in einer Zeit, in der sich das Schicksal dieses Gleichgewichtes entscheiden sollte erhob sich der gelbe Drache über die Träume von Natur und Mensch hinweg in die Lüfte der Zukunft.
1. Kapitel
Langsam und träge floss der kleine Bach an diesem Tag die Hänge des Hügels herab, plätscherte nur missmutig über die großen Steine nahe seiner Quelle, drückte nur halbherzig die Kiesel vor sich her, die sich in seinen Weg stellen wollten, und wollte gar nicht so recht seinen Weg gen Tal beschreiben. Hätte man den Bach an einem anderen Tag gesehen und hätte man Aug und Ohr, so wie es die Menschen früher für die Natur gehabt hatten, so hätte die Freude und die Glückseligkeit des Baches einem das Herz erwärmt. Es war kein großer Bach, es war kein Bach, dessen Wasser sich in den Strom eines gewaltigen Flusses oder die Gefilde eines riesigen Sees mischte. Es war ein einfacher Bach, der auf der großen Landkarte nicht einmal seine Existenz belegt finden würde. Aber für die Menschen des kleinen Dorfes am Fuße des Hügels war er die Quelle ihres Lebens und somit das Wichtigste in der Welt und für ihn waren diese Menschen das Wichtigste in der Welt. Wer brauchte schon riesige Mengen Wassers, wenn er sich an dem Lachen der Kinder erfreuen konnte, die in ihm spielten und sein Wasser benutzten, um sich gegenseitig zu bespritzen? Ja es waren vor allem die Kinder, auf die sich der Bach jeden Morgen freute, wenn er sich aus dem moosig-grünen Bett seiner Träume erhob. Er kannte sie alle, er erkannte sie schon am Klang ihres Lachens und hatte einem jeden der Dorfbewohner erfreut beim Wachsen zugesehen. Nichts aber stimmte ihn so traurig, wie das bittere Weinen und Schluchzen eines Kindes, das in seinem jungen Leben bereits großes Leid erfahren musste. Und ausgerechnet das herzerweichendste Weinen und die qualvollsten Tränen hatte er am gestrigen Tage wahrnehmen müssen. Das Mädchen mit den grellblonden Haaren namens Hiwa hatte bereits in ihrer frühesten Kindheit beide Eltern verloren und lebte alleine mit ihrer großen Schwester Kigiku in dem kleinen Dorf. Nie hatte der Bach Hiwa weinen hören ob des Verlustes der Eltern oder der schweren Zeit, die dieser den beiden Mädchen einbrachte. Es war immer glücklich mit seinem Leben gewesen, hatte sich nie beschwert und war der großen Schwester stets zur Hand gegangen. Und ausgerechnet dieses Mädchen, das dem Bach immer ein Quell der Freude gewesen war, weinte nun ob der schweren Krankheit des Einzigem, dem es sich immer sicher gewesen war: Seiner Schwester.
Was konnte der Bach tun? Die Menschen hatten in den Jahrhunderten seit ihrer frühesten Kindheit gelernt in der Natur zu überleben und dabei bereits einiges über die Kunst mit den Geschenken der Natur Krankheit und Wunde zu bekämpfen gelernt. Aber nicht einmal dieses Wissen schien das Leid Kigikus mildern zu können. Trübseelig floss er weiter vor sich hin und grübelte nach, was er tun könnte. Auch dachte er dabei daran, dass die Menschheit längst ihr Kindesbett verlassen und begonnen hatte, die harte Seite der Natur, die ihr Leben bedrohte, zu bekämpfen. Früher, er konnte sich fast nicht mehr daran erinnern, hatte sich nur selten die Sonne in seinen Wassern gespiegelt, da der Schatten großer Bäume stets sein Gefilde bedeckte. Irgendwann aber hatten die Menschen damit begonnen die Bäume zu fällen und sich Platz zum Leben, für ihr Vieh und für ihre Felder zu schaffen. Der große Wald war immer weiter geschrumpft und schon lange hörte der Bach die Stimmen der Bäume nur noch aus sehr weiter Entfernung im Säuseln des Windes. Als er nun so lauschte, um die Stimmen der Bäume zu hören, vernahm er die Stimme eines Menschen. Dieser Mann, denn seine tiefe und rauchige Stimme verriet sein Geschlecht, sang irgendwo in seiner Nähe von etwas, was der Bach völlig vergessen hatte: Von dem Waldgott. Die Erinnerungen überschlugen sich und schnell beschloss der Bach aus seiner Trübseligkeit zu erwachen und den Sänger mit dem Plätschern seines Wassers an- und zu dem kleinen Dorf hinzulocken.
2. Kapitel
Stark schmerzten die Füße des Greises, dessen Stimme der Bach vernommen hatte, ob seiner langen Wanderung und ein jedes Wort, das er scheinbar vergnügt vor sich her sang, war einzig und allein dazu gedacht, um ihn von den Schmerzen abzulenken. Er war weit gereist, hatte viele Flüsse überquert und sich an viele Bäume gelehnt, wenn sein alter Körper ein paar Momente der Ruhe benötigten. Weswegen er reiste, wusste er nicht mehr. Einzig und allein erinnerte er sich noch daran, dass er einst am Rande eines großen Waldes gelebt und von dessen Wildheit und Schönheit verzaubert worden war. Angelockt vom Plätschern des Baches, dessen kühles Wasser Linderung für die schmerzenden Füße verhieß, wechselte der Greis die Richtung und traf schon bald auf den kleinen Bach und das in nicht allzu weiter Ferne stehende Dorf. Noch einmal nahm sich der Alte zusammen, trällerte um so lauter, als seine Füße besonders stark schmerzen und ihm anscheinend sagen wollten:“Wieso bleibst du nicht einfach hier sitzen und gönnst uns unsere Ruhe du alter Narr?“ Aber der „alte Narr“ war dickköpfig geworden und wollte nicht nur seine Füße ausruhen, sondern auch noch mit Menschen reden. Ein Vergnügen, das ihm seit Wochen verwehrt war. So laut trällerte er vor sich hin, dass er das Schluchzen des kleinen Mädchens, das am Ufer des kleinen Baches mehr in sich zusammen gekauert war, als dass es saß, nicht mitbekam. Erst, als das Mädchen seine grünen Augen öffnete und auf den alten und komisch aussehenden Mann schaute, während es sich über die tränenverschmierten Wangen wischte, bemerkte dieser, dass er nicht alleine war. „Was ist ein Waldgott?“ ertönte die hohe Stimme des Mädchens und der alte Mann blieb verdutzt stehen, um die fragenden großen Augen, die vor Weinen rot geworden waren, zu bewundern. Kurz entschlossen gewährte er seinen fast schon rebellierenden Füßen ihren Wunsch und ließ sich neben dem Mädchen leise seufzend nieder. „Die gestaltgewordene Natur. Wille und Kraft dessen, was uns stets umgibt, und genauso wild und sanft wie eben jenes.“ Antwortete er ein wenig kryptischer, als er beabsichtigt hatte, während er die schmerzenden Füße aus den abgelaufenen Sandalen befreite. „Und wie sieht er aus?“ „Er wechselt die Gestalt, so wie es auch die Natur ständig tut.“ „Ist er lieb?“ „Ja und nein. Wenn er stürmisch und verheerend ist, wenn er wütend und aufgebracht ist, so vernichtet er alles, was ihm in den Weg kommt. Ist er aber sanft und ruhig, so beschützt, heilt und umsorgt er das, was in seinen Augen, den Augen der Natur, würdig ist.“ Sofort weiteten sich die Augen des kleinen Mädchens, das das zerschlissene Hemd des Alten mit seinen kleinen Fingern ergriff und ihn voller Hoffnung und zugleich voller Angst vor einer möglichen Enttäuschung anschaute. „Er heilt? Kann er alles heilen? Kann er auch eine richtig schlimme Krankheit heilen?“ Ein wenig verdutzt ob dieser Reaktion antwortete der Alte in dazu passender Stimmlage: „Ehm Ja, kann er, aber dazu muss er…“ Doch weiter hörte das Mädchen nicht, es riss nur umso stärker an dem Hemd und schrie förmlich: „Wo finde ich ihn? Erzähl mir bitte alles!“ Und nach einer Reaktion, die sehr derer glich, die er nur wenige Momente zuvor gezeigt hatte, und einem dazu passenden Seufzen, holte der Greis tief Luft und fing an zu erzählen:
„Weit weg im Nordosten steht er noch, der große Wald, der einst fast den ganzen Kontinent bedeckte. Im Gegensatz zu den kleinen Wäldern, die du kennst, ist dieser Wald noch erfüllt von dem Willen und der Kraft der Natur. Tief in seinem Inneren lebt der Waldgott in dem wunderbaren Hain, der schon seit Äonen nicht mehr von Menschen betreten worden ist, und umgeben von den Vorfahren der Tiere: riesige und weise Tiergötter. Einst, so wurde mir als kleines Kind in meinem Heimatdorf erzählt, dass am Randes des großen Waldes steht, sahen die Tiergötter und der Waldgott mit wohlwollendem Blick auf die Menschen herab, die so schwach und zerbrechlich wirkten. Sie standen uns bei, wenn etwas unsere Existenz bedrohte, und halfen uns gelegentlich mit Rat und Tat in der Natur zu überleben, die sie schon so viel länger bevölkern und so viel besser verstehen als wir. Aus dieser Zeit kommen auch die Geschichten der Heilkunst des Waldgottes und der weisen Ratschläge der Tiergötter, die zusammen mit ihren damals noch ähnlich riesigen Brüdern und Schwestern unseren Kontinent bereisten und bevölkerten. Aber…“
Doch weiter kam der Mann nicht, denn das Mädchen war bereits aufgesprungen und rannte fort in Richtung der Häuser. Später erfuhr er, was es mit dem Mädchen auf sich hatte, und schollt sich selber ob dem, was er so unvorsichtig Hiwa erzählt hatte.
3. Kapitel
Voller Schrecken beobachtete der kleine Bach, was geschah. In seinem Bestreben das kleine Mädchen zu trösten und sich wieder an ihrem Lachen und den strahlenden Augen zu erfreuen, hatte er vergessen, dass Menschen keine Tiere waren. Sie waren es nicht gewohnt auf sich alleine gestellt zu überleben und am aller wenigsten kleine Kinder, von den Gefahren einer solchen Reise und denen des großen Waldes ganz zu schweigen. Aber was konnte er tun? Was konnte er tun?...
Ohne lange nachzudenken hatte sich Hiwa ihre festeren Schuhe samt ein paar reisetauglichen Kleidern und Proviant – was sie eben rumliegen sah – geschnappt, hatte ihre Schwester umarmt und war mit den Worten „Der Waldgott wird dich heilen, warte es nur ab!“ aus der kleinen Hütte, die die zwei Mädchen bewohnten, verschwunden. Kigiku hatte sichtlich verwirrt drein geschaut, aber hatte ob ihrer Krankheit und der Schwäche, die ihren Körper befallen hatte, nichts tun können, außer der kleinen Schwester flehentlich hinterher zu schauen. So verzweifelt, wie die große Schwester in dieser Stunde war, als Hiwa Hals über Kopf das kleine Dorf verließ, so zuversichtlich war die kleine Schwester, die endlich etwas gefunden hatte, was sie tun konnte um Kigiku helfen zu können. Sie dachte gar nicht daran, dass die Reise gefährlich werden könnte, oder dass sie ihr eigenes Leben schonen müsste. Einzig und allein das Leben der Person, die für sie die Welt darstellte, war ihr wichtig und kreiste beständig in ihrer Gedankenwelt umher.
So reiste das kleine Mädchen mit dem blonden Haar und den großen grünen Augen los gen Nordosten. Zum Glück hatte sie gelernt die Himmelsrichtungen zu erkennen und zu finden und verlief sich nie. So selbstsicher ging sie ihre Reise an, dass sie vergnügt summend schon bald das kleine Tal und die Gefilde des kleinen Baches verließ. Die ersten Tage ihres kleinen Abenteuers flogen nur so vorüber. Sie hatte genügend Wasser dabei und konnte ihre Proviante mit den Beeren und Früchten, die sie dank des herrschenden Sommers leicht fand, stets wieder auffüllen. Einzig und allein des Nachts, wenn es dunkel und gelegentlich sogar etwas kühler wurde, wurde es ihr etwas bang um das kleine Herz. Aber wie stets summte sie dann eine kleine Melodie vor sich her, mit der sie die große Stille um sich herum vertrieb und sich selber in den Schlaf wiegte. Die Weisen sagen, dass ein entschlossenes Herz keine Furcht kenne. Nur ein zauderndes und fragendes Herz öffne Tür und Tor für Zweifel und Furcht. Wenn man diesen Worten Glauben schenken darf, so verwundert es nicht, dass Hiwa nie daran dachte umzukehren oder auch nur aus Angst oder Furcht eine Träne vergoss. Sie war überzeugt davon das Richtige zu tun und setzte mit derselben Überzeugung Fuß vor Fuß, ging Schritt um Schritt immer weiter gen Nordosten. Schon bald wurde die Natur, die wenn auch in schwächerer Art und Weise, auch an diesem Ort zu finden war, auf das summende und singende kleine Mädchen aufmerksam und immer öfter geschah es von nun an, dass ein kleiner Sperling sich zu Hiwa gesellte, wenn diese tagsüber oder nachts vor sich hin sang, um diese mit seinem hohen Zwitschern zu begleiten. Immer, wenn sie den kleinen Vogel sah, der ihr schon bald ein lieber Wegbegleiter wurde, hellte sich die Miene des kleinen Mädchens auf und ihre Schritte wurden bestimmter und stärker. Dem Beispiel des Vogels folgend, fing sie schon bald an feste Rhythmen in ihren Tagesablauf zu bringen: Sie stand mit der Sonne auf, aß etwas, ging dann den Tag über unterbrochen von einer Mittagspause bis sie am Nachmittag begann nach einer Schlafmöglichkeit zu suchen und daraufhin nach etwas Essbarem und Trinkbarem, wenn sie nicht schon genug während des Tages gefunden hatte. Ihrer guten Orientierung wegen verlief sie sich dabei so gut wie nie und wenn, dann brachte sie das Zwitschern des kleinen Vogels schon bald wieder auf den richtigen Weg. Auch brauchte sie nur auf das Verhalten des Vogels zu achten, um Wetterumbrüche oder Gefahren vorherzusehen. So verging die Zeit und die Natur kehrte immer weiter in das kleine Mädchen ein genauso wie das kleine Mädchen immer weiter in die Natur einkehrte. Und dann kam der Herbst
4. Kapitel
Als die ersten Blätter an den Bäumen begannen gelb und rot zu werden, wusste Hiwa, dass der Sommer den Kampf gegen den Winter langsam verlor. Noch kämpfte er wacker und hielt die kalten Winde aus dem Norden samt der dunklen Wolken, die sie mitbrachten, zurück. Aber mit jedem Tag und jeder Nacht kamen sie näher, ohne dass der Sommer etwas dagegen würde tun können. Sie musste sich beeilen, so viel verstand selbst ein kleines Mädchen, denn in den Stürmen und der Kälte des Winters würde sie nicht überleben können ohne die Hilfe und den Beistand Ihresgleichen. Wäre der kleine Vogel nicht gewesen, der sie über immer längere Strecken des Tages begleitete und es sich immer öfter auf ihrer Schulter bequem machte, so hätten vielleicht der Zweifel und die Furcht Einzug in ihrem Herzen gehalten. So aber ertönten die Stimmen der Zwei, wann immer der Winter an ihren Herzen zu nagen begann, und vertrieben diesen. Manchmal allerdings kam es auch vor, dass der kleine Vogel schrecklich lange weg blieb und Hiwa begann sich Sorgen zu machen. Sorgen um den kleinen Vogel, um ihre Schwester und um den Wahrheitsgehalt der Geschichte des alten Mannes. Als der kleine Vogel eines Morgens nicht neben ihr zu finden war, erhob sie sich und ging ohne zu zaudern in den kleinen Hain hinein, der sich vor ihr erstreckte. Sie begann das Lied zu singen, das sie seit Beginn ihrer Reise immer sang, und schon bald hörte sie aus einiger Entfernung die Antwort des Vogels. Ihr Herz schlug immer schneller voller Freude und auch voller Angst ob dem, was dem Vogel passiert sein könnte. Sie rannte immer schneller, stets der Stimme des Vogels folgend und blieb plötzlich stehen. Eine kleine Katze mit ungewöhnlich eisblauen Augen stand am Fuße eines großen Baumes, auf dessen niedrigem Ast Hiwa sofort ein paar der Federn des kleinen Vogels sehen konnte. Ihre Augen weiteten sich und füllten sich schon bald mit Tränen, während die Katze sich von dem ersten Schrecken ob der plötzlichen Begegnung erholte und begann um das kleine Mädchen, das mehr und mehr in Tränen ausbrach, zu kreisen. Hiwa verstand schnell, dass der Sommer ihr bisher nur die schönen Seiten der Natur gezeigt hatte und sie den kleinen Vogel wohl nicht mehr wieder sehen würde. Es war in ihren Augen klar, dass der Vogel den Klauen der Katze erlegen war, da er sonst längst zu ihr zurück geflogen sein würde. Immer stärker wurde der Regen aus Tränen, der sich vom Gesicht des kleinen Mädchens gen Boden bewegte, bis ein empörtes Miauen das Mädchen aus seinen Gedanken rüttelte. Die Katze hatte sich vor Hiwa hingesetzt und schaute sie aus zugleich neugierigen und vorwurfsvollen Augen an, so dass das Mädchen nicht anders konnte als sich herabzubeugen und vorsichtig das Fell des Tieres zu streicheln. Sie machte dem Tier keine Vorwürfe, da es nur um sein eigenes Überleben kämpfte, auch wenn es sie dennoch sehr traurig machte. Anstatt aber vor der Hand des Mädchens zu fliehen, ließ sich die Katze mit einem immer lauter werdenden Schnurren streicheln und verließ auch nicht die Seite des Mädchens, als dieses langsam damit beginnen musste zurück zu ihren wenigen Habseligkeiten zu gehen.
So nahm schon bald die kleine Katze den Platz des Vogels ein und begleitete Hiwa auf ihrer Reise. Und so wie der Vogel mit seinem Verhalten dem Mädchen vieles über das Überleben in der Natur beibrachte, so tat dies auch die Katze. Allerdings oblag es der Katze genauso wie bei ihrem ersten Treffen dem Mädchen die düstere Seite der Natur zu zeigen. Hatten im Sommer noch Früchte und Beeren überall auf ihrem Weg nur darauf gewartet von ihr gepflückt zu werden, so verschwanden diese immer mehr je weiter der Herbst Einzug hielt. Und schon bald musste Hiwa lernen, dass sie wie die Katze Leben nehmen musste, um selber zu überleben. Es dauerte schier eine Ewigkeit, bis es ihr mittels einer Falle zum ersten Mal gelang ein kleines Tier zu fangen, ein Feuer zu machen und es dann übers Herz zu bringen das Tier zu töten und sogar zu verspeisen. Sie weinte bitterlich ob des Lebens, das sie beendet hatte und flehte vielmals um Verzeihung, bevor sie sich traute zu essen. Durch Wiederholung aber wird jeder zum Meister und schon bald hatte sich das kleine Mädchen an die neuen Vorgänge gewöhnt, auch wenn sie noch immer für das Schicksal der Seele eines jeden Tieres, das sie tötete, zum ihr unbekannten Waldgott betete. Schon bald fiel ihr das Fehlen des freudigen Zwitscherns kaum noch auf und die Harte Seite der Natur zog immer mehr in sie ein, auch wenn diese gemischt von warmen Momenten war, wie das abendliche Einschlafen mit der Katze in den Armen.
5. Kapitel
Immer schwächer wurde der Sommer und der Herbst, der wie sein Freund Frühling sich oft wie das Seil fühlte, an dem Sommer und Herbst zogen, wurde immer dunkler und kälter. Die Stürme, die die Höhepunkte im Tauziehen zwischen Sommer und Winter für jeden sichtbar und hörbar machten, hatten schon seit einiger Zeit immer weiter an Stärke nachgelassen so wie es auch der Sommer getan hatte. Immer weniger Zeit blieb dem kleinen Mädchen, das sich immer öfter morgens von Raureif befreien musste. Gelegentlich fielen früh morgens kleine weiße Flocken vom Himmel herab, setzten sich auf ihr blondes Haar und bildeten einen Schleier aus winzig kleinen Kristallen. Immer öfter froren ihr die Füße oder die Hände, manchmal kroch die Kälte sogar langsam die Beine hoch und hätte sie nicht die Katze gehabt, die sie des nachts wärmte, so wäre sie sicher oft schlotternd vor Kälte erwacht. Sie hatte kaum noch Zeit, das wusste sie. Aber unbeirrt setzte sie Tag für Tag einen Fuß vor den anderen. Sie konnte nicht scheitern, sie durfte nicht! Was war schon so ein wenig Schnee im Vergleich zu dem, was ihre Schwester erleiden musste? Und dann eines Tages, als die glänzende Himmelsscheibe bereits im Sinken inbegriffen war, sah sie Rauchschwaden hinter einem kleinen Weiler aufsteigen. Sie beschleunigte ihre Schritte und angespornt durch das Wettlaufen, das sich nun ergab, sprintete auch die Katze immer schneller, bis sie das Mädchen überholte und wenig später aus deren Sichtfeld verschwand. Wie lange sie schon so rannte, wusste Hiwa nicht. Einzig und allein die stetig abnehmende Entfernung zu den Rauchschwaden und nicht die fast schon untergegangene Sonne war Mittelpunkt aller Gedanken des kleinen Mädchens. Je näher sie aber kam, desto mehr drangen schreckliche Geräusche an ihr Ohr, die sie an die unglaublich lauten Stürme im Herbst erinnerten. Oft hatte sie sich mitten in der Nacht, wenn es besonders stark stürmte, wie ein Kokon in ihre Decke eingerollt und sich vorgestellt, dass außerhalb des schützenden Mantels riesige Tiere, wie die aus der Geschichte des Greises, umher liefen und sich gegenseitig anschrien, was diesen Schrecklichen Krach erzeugte. Hätte sie gewusst, was sie erwartete, so hätte sie in jenen Nächten wohl kein einziges Auge zu bekommen. Als sie sich immer weiter ihren Weg zwischen den mit einer hauchdünnen Schicht silbrigen Schnees bedeckten Bäumen des kleinen Weilers bahnte, schälten sich immer mehr die Umrisse kleinerer und größerer Häuser aus dem zwielichtigen Schatten der Bäume. Das Herz des Mädchen schlug ob der Vorfreude vielleicht endlich ihr Ziel erreicht zu haben immer schneller, bis es plötzlich zwei Schläge aussetzte während auch die kleinen Beine sich nicht mehr fortbewegen wollten. Ein gewaltiges Brüllen, wie es dem stärksten Orkan alle Ehre bereitet hätte, erhob sich, als ein gewaltiger schwarzer Schatten sich auf die Reihe der Häuser zu bewegte. Nicht heimelige Kamine, nicht freundlich strahlende Herdfeuer hatten die Rauchschwaden erzeugt, die Hiwa angelockt hatten, sondern in Flammen stehende Barrikaden, die die Dorfbewohner scheinbar als Schutz errichtet hatten. Aber selbst diese hatten sie nicht vor dem bewahren können, was auf sie zurollte. Verzweifeltes Rufen drang an Hiwas Ohren, als das Brüllen für einen Moment aussetzte. Langsam bewegte sie sich wieder, überzeugte ihre Füße mühsam zu jedem einzelnen Schritt und näherte sich so furchtbar langsam dem Chaos, das immer mehr von sich enthüllte. Der gewaltige Schatten war stehen geblieben, bäumte sich in regelmäßigen Abständen auf und brüllte jedes Mal so laut, dass die nahestehenden Bäume wackelten. Vor ihm schälten sich nun auch kleinere Schatten mit langen Stäben aus dem flackernden Zwielicht der Flammen. Je näher das kleine Mädchen kam, desto mehr erkannte sie, dass es sich um Dorfbewohner zu handeln schien, die mit langen Speeren und allerlei zweckentfremdeten Ackergerät den riesigen Schatten, der längst durch die Barrikade gebrochen war, aufzuhalten versuchten. Dann hörte sie plötzlich etwas, was nicht so recht in das Chaos passen wollte. Ein hohes Schreien drang an ihre Ohren, das nicht allzu weit entfernt seinen Ursprung haben konnte. In einem solchen Chaos hätte man erwartet, dass es ein furchterfülltes Schreien einer Frau ob der großen Gefahr sein müsste. Aber ein kleines Kind, jünger als die bisher unbemerkte Beobachterin, wankte kaum in der Lage richtig zu laufen mit seinen kurzen Beinen und immer wieder sich an den Häuserwänden abstützend auf den Kampf hinter der durchbrochenen Barrikade zu. Doch auch der Schatten hatte das Geräusch bemerkt. Hiwa blieb abermals für einen Moment vor Schreck das Herz stehen, als sich das riesige Ungetüm dem wankenden Kind zuwandte. Aber diesmal setzten ihre Beine nicht aus, sondern beschleunigten Ihre Schritte. Unweigerlich dachte Hiwa daran, dass sie nicht schnell genug gewesen war um ihren kleinen Vogel hatte beschützen zu können und weigerte sich so etwas noch einmal zuzulassen. Ihre Beine flogen förmlich über die leicht angefrorene Erde, näherten sich immer weiter dem Kleinkind und dem riesigen Schatten, der laut brüllend ebenfalls auf dieses aus der entgegen gesetzten Richtung zusteuerte. Ein verzweifelter Ruf aus der Kehle eines Mannes drang an die Ohren des Mädchens, aber kein einziger ihrer Gedanken war dazu in der Lage sich um dieses zu kümmern. Mit Müh und Not erreichte sie das wankende Kind, das in dem Moment, in dem Hiwa hinter ihm zu Halt kam, endgültig der Schwerkraft Rechenschaft leistete und in die Arme des blonden Mädchens fiel. Doch auch der riesige Schatten hatte die Quelle des hohen Geräusches erreicht. Als eine besonders vorwitzige Flamme ihre Stimme erhob und den Schauplatz für einen Moment zur Gänze ausleuchtete, legte Hiwa unweigerlich die Arme fester um das Kleinkind in ihren Armen. Vor ihr erhob sich der Kopf einer gewaltigen schwarzen Schildkröte, deren Augen zornig und mordlüstern das ungleiche Gespann anfunkelten. Würde sie das Kind loslassen und sich vorsichtig entfernen, während das Ungetüm mit seiner Beute beschäftigt war, so würde sie vielleicht… Doch Hiwa schüttelte entschlossen das blonde Haupt und drückte das Kind nur stärker an sich. Der Blick ihrer Augen wurde gefährlicher, während sich diese leicht verengten. Sie würde nicht zulassen, dass erneut ein kleines Wesen, das auf ihre Hilfe angewiesen war, starb, weil sie zu zögerlich und zu schwach war. Ähnlich einer Bärenmutter, die ihr Junges vor hoffnungslos überlegenen Jägern nicht im Stich ließ, sondern die Jäger auch noch laut anbrüllte, war der Blick des jungen Mädchens. Das Brüllen aus diesem wurde immer spürbarer, so dass selbst die Schildkröte für einen Moment inne Hielt. Immer deutlicher wurde es, man war fast der Meinung, dass man es hören … und plötzlich erschallte ein gewaltiger und tiefer Schrei, als sich ein großer Schatten zwischen Hiwa und die Schildkröte schob.
6. Kapitel
Unweigerlich hatte Hiwa ihre Augen geschlossen, als der zweite Schatten so nah vor ihr erschienen war, und rechnete jeden Moment damit die Flügelschläge des Todesboten zu hören. Aber diese erschallten nicht, stattdessen entwickelte sich ein Sturm aus Schrei und Gebrüll der zwei riesigen Wesen direkt vor ihr. Je mehr sie aber ihre eigene Angst und ihr wild pochendes Herz beruhigte, desto mehr war sie in der Lage die tiefen Stimmen zu vernehmen: „Geh mir aus dem Weg Bai Hu!“ donnerte die etwas entferntere Stimme zornerfüllt. „Nein! Diese beschütze ich und du wirst sie nicht bekommen!“ erwiderte die nähere Stimme etwas leiser, aber mit einem gefährlichen Unterton. „Die Menschen verdienen den Tod!“ „Nichts verdient den Tod. Oder hast du Xinglu’s Worte in deinem Zorn vergessen?“ „Du wagst es seine Worte in den Mund zu nehmen, nachdem ihr ihn verlassen habt?“ brüllte die fernere Stimme plötzlich noch lauter. „Wir haben ihn verlassen nicht wegen dem, was er einst sagte, sondern wegen dem, was er nicht mehr sagt! Würde er zu dem zurückfinden, was wir immer verehrt haben, so würden wir sofort zurückkehren.“ Es wurde still für einen Moment. Fast ohnmächtig vor den riesigen Geschöpfen, deren Nähe sie deutlich spüren konnte, hatte Hiwa ihre Augen die ganze Zeit über fest zugekniffen und auch das Kleinkind in ihren Armen hatte sich nicht gerührt. Als es nun etwas ruhiger wurde, öffnete Hiwa vorsichtig ihre Augen und bestaunte das weiße mit schwarzen Streifen getigerte Fell einer riesigen Katze, die sich scheinbar schützend vor sie gestellt hatte. Doch Zeit für Worte blieb ihr nicht, denn schon bald ertönte die Stimme der Schildkröte erneut, wenn auch nicht mehr ganz so sehr vor Wut bebend. „Ich werde mich zurückziehen und bei Xinglu auf dich warten. Wie es stets Tradition war, wirst du ihm das Wesen vorstellen müssen, dass du vor seinem Willen beschützt hast.“ Ein Rauschen ertönte, während sich die Schildkröte umdrehte. „In einer Woche, zum Vollmond, falls du es nicht vergessen hast.“ Brummte sie. „Ich habe es nie vergessen Xuan Wu, nie...“ Und dann verschwand die gewaltige Schildkröte.
Erst, als sich der Schatten des Tieres mit dem Schatten des großen Wald, der in einiger Entfernung zum Dorf zu sehen war, vereinigt hatte, ging ein spürbares Aufatmen durch die Dorfbewohner. Sie schienen sich nicht an der Gegenwart des zweiten Tieres zu stören, als sie an diesem vorbei auf Hiwa zu rannten. Das kleine Kind in ihren Armen begehrte plötzlich auf, als ein großer Mann mit einer eindrucksvollen Narbe über der Wange und schwarzem Haar vor Hiwa auftauchte und im nächsten Moment hob eben dieser das Kleinkind aus ihren Armen empor und drückte es an sich. „Hast du Angst um deinen Papa gehabt?“murmelte der Mann, der voller Freude dem Kind die Nase stupste. „Hiwa… wir müssen reden.“ Ertönte die tiefe Stimme nun einfühlsam und beruhigend aber mit einem kleinen Anflug von Sorge und lenkte Hiwa von dem rührenden Bild vor sich ab. Als sie ihre Augen dem großen Wesen zu wandte und sich die Blicke begegneten, atmete sie erschrocken ein. „Bist du… das kleine Kätzchen?“ Und der Blick der eisblauen Augen des weißen Tigers sagte mehr als Worte könnten.
7. Kapitel
„Was hat das alles zu bedeuten?“ Schrie Hiwa schon fast dem großen Tiger entgegen. Die Sonne schickte gerade ihre ersten Strahlen durch die kahlen Äste der Bäume und zeigte dem Mädchen, wie viel Zeit seit dem Verschwinden der Schildkröte vergangen war. Die letzten Stunden hatte sie damit zugebracht sich der Versuche der Dorfbewohner sie wie eine Heldin zu feiern zu erwehren und immer wieder den Armen, die sie umschlingen wollten, zu entfliehen. Als die Menschen endlich eingesehen hatten, dass sie an derlei Feiern nicht interessiert war und ihr die Nähe zu so vielen Lebewesen sogar unangenehm war, hatten sie ihr endlich etwas Platz gelassen, ihr etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen gegeben. Während dieser Stunden war Bai Hu, so hatte ihn die Schildkröte genannt, wie vom Erdboden verschlungen gewesen und erst am nächsten Morgen, als Hiwa sich aus Gewohnheit bei der ersten Morgenröte aus dem Bett erhob und an die frische Luft ging, saß er plötzlich neben dem Haus und schaute sie lange Zeit stumm aus seinen eisblauen Augen an, bevor er sich erhob und langsam gen Waldgrenze trottete. Schnell war sie ihm gefolgt und rief ihm nun schon zum zweiten Mal dieselbe Frage entgegen: „Sag es mir! Was hat das alles zu bedeuten? Antworte endlich!“ „Zügle dein Temperament. Ich höre dich.“ Antwortete der große Tiger mit ruhiger und gedämpfter Stimme. Es dauerte ein paar Momente, bevor Hiwa sich etwas beruhigt hatte und deutlich leiser entgegnete: „Aber warum antwortest du mir dann nicht?“ „Alles besitzt einen richtigen Ort und eine richtige Zeit.“ „Und erst jetzt stimmt beides überein?“ „Richtig..“ Der Tiger hielt in seinem Gang inne und schaute sich in dem winterlichen Wald einige Momente lang um, bevor er fortfuhr.“Und Vieles ist nicht für die Ohren aller bestimmt.“ „Also sollen die Dorfbewohner davon nichts hören?“ „Du hörst zu.“ Abermals folgte eine Pause, die der Tiger nutzte um wieder eine Pfote vor die andere zu setzen. „Diese Menschen haben den Zorn Xinglu’s auf sich gezogen und Xuan Wu, der einzige von uns der bei ihm geblieben ist, war hier um das Urteil zu vollstrecken.“ „Xinglu? Xuan Wu? Ich verstehe nicht… Ich verstehe gar nichts!“ Brummte Hiwa in sich hinein. „Xinglu ist der Waldgott. Der, nach dem du gesucht hast.“ Ein Moment der Stille folgte, in dem sich Hiwa‘s Augen weiteten und sie tief Luft holte für die folgenden Worte: „Aber dann bin ich ja am Ziel Dann wird Kigiku endlich geheilt!“ Sie griff in den Schnee, warf diesen voller Freude empor und drehte sich in dem kleinen Schneegestöber entzückt um sich selber. „Ja und nein.“ Erschallte die Stimme des Tigers. Abrupt blieb Hiwa stehen und schaute diesen entgeistert an. „Er hat die Macht zu heilen, aber ob er das tun wird ist fraglich.“ Bai Hu atmete tief ein und aus, was dank seiner Größe einen imposanten Luftstrom erzeugte, der Hiwa‘s Haar umher wirbelte. „Aber darum geht es gerade nicht. Du hast dich dem Willen Xinglu’s entgegen gestellt und seinen Zorn auf dich gezogen.“ „Aber ich habe doch nur ein kleines Kind beschützt!“ Schrie Hiwa ihm entgegen. „Das weiß ich und das wirst du ihm erklären müssen, wenn du vor ihm stehst.“ Das Mädchen schluckte geräuschvoll und sah den Tiger mit einer Spur Furcht in den Augen an. „Und was ist, wenn er mich nicht versteht? Was ist…?“ „Xinglu hat sich verändert. Wo einst Mitgefühl und Wut sich die Waage hielten, herrscht nun zumeist das Dunkle.“ „Aber wieso?... Und wieso kennst du ihn so gut? Wieso bist du kein kleines Kätzchen mehr? Wieso hast du mir geholfen? Wieso hast du den kleinen Vogel getötet?“ Platzte es aus Hiwa hervor. „… Zeit und Ort Hiwa… Zeit und Ort.“ Und im nächsten Moment war der große weiße Tiger mit ein paar gewaltigen Sätzen im Wald verschwunden und Hiwa drehte sich langsam gen des erwachenden Dorfes. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Murmelte sie und machte sich auf den Weg.
8. Kapitel
Als das blonde Mädchen sich langsam durch den winterlichen Wald dem Dorf und dessen wärmeverheißenden Rauchsäulen näherte, schälte sich immer mehr die Silhouette eines Mannes aus dem morgendlichen Zwielicht heraus. Leicht war dieser Schatten mit dem Stein zu verwechseln, auf welchem er sich befand, aber mehr und mehr fiel die Unnatürlichkeit dieses Gebildes Hiwa ins Auge und so blieb sie nach einigen weiteren Schritten schließlich vor einem alten Mann stehen, der seine geschlossenen Augen dem Himmel entgegen gerichtet hatte. Gerade öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, da hob der Alte die Hand und bedeutete ihr zu schweigen. Erst einige Momente später ertönte die brüchige Stimme und durchbrach die Stille. „Ich weiß, dass du hier bist auch ohne deine Worte.... Die Bäume reden seit Wochen ununterbrochen über das Mädchen, das den Waldgott sucht. Und nun stehst du vor mir, blickst mit Augen um dich, die voller Fragen sind.“ „Die Bäume reden?“ Antwortete Hiwa verdutzt und verdeutlichte mit ihrer Frage die Worte des Mannes, der anfing zu kichern, nur noch mehr. „Da reist sie mehrere Monde lang durch die Natur, lässt diese in sie einkehren aber kehrt selber nicht in sie ein… Natürlich reden sie! Sie reden schon viel länger als die Menschen.“ „Und ihr versteht sie? Wieso verstehen die Menschen sie nicht? Oder bin das nur ich?“ „Ja ich verstehe sie, aber ich bin einer der Letzten.“ „War das mal anders?“ Abermals kicherte der Alte, rückte auf seinem Stein zur Seite und bedeutete Hiwa neben ihm Platz zu nehmen. Nur zögerlich kam sie dieser Aufforderung nach und erst, als sie neben ihm saß, erhob der Mann wieder die Stimme. „Ja war es. Wir sind, genauso wie alle Tiere, die Kinder der Natur und genauso wie Kind und Mutter sich verstehen, auch ohne sich direkt zu verstehen, so taten es Mensch und Natur. Manche Menschen verstanden sie besser, manche schlechter. Aber ein jeder tat es. Irgendwann aber, wenn das Kind nicht mehr auf die Mutter angewiesen ist, bricht dieses Verständnis. Was bleibt dann zurück? Ein Kind, das sich seine eigene Welt mit seinen eigenen Kräften aufbaut, und eine Mutter, die immer noch versucht über ihr Kind zu wachen.“ „Also… Sind es wir Menschen, die nicht mehr zuhören?“ Die faltige und wettergegerbte Miene des Alten verzog sich zu einem breiten Lächeln. „Richtig. Sie hat nie aufgehört zu sprechen und genau so habe ich von dir gehört.“ „Aber, wieso verurteilt der Waldgott, der doch die personifizierte Natur ist, die Menschen, wenn eine Mutter doch nie aufhört sich um ihre Kinder zu sorgen?“ Ein tiefes Seufzen entfuhr dem alten Mann, dessen Lächeln schnell einem traurigen Ausdruck wich. „Wo zwei Wesen nicht miteinander sprechen, da können sie nicht mehr auf Sorgen, Ängste und Bedürfnisse eingehen. Die Menschen wollten und wollen sich ihr Leben auf eigenen Beinen aufbauen. Wollen mehr und mehr die Risiken, die die Natur als Mutter vieler Lebewesen für sie bereithält, beseitigen und verändern somit etwas, was bisher kein Wesen tat: die Natur selber. Der Wald, in dem wir sitzen, erstreckte sich einst über fast die gesamte bekannte Welt und wo er nicht war, da waren Steppen, Wiesen und Auen. Je mehr der Mensch sich ausbreitete, desto mehr drängte er die anderen Lebewesen und sogar die Natur zurück. Letztlich ist nichts gefeit vor der Angst vor Veränderungen und Tod und der Waldgott, der vor allem der Beschützer des Waldes und der Natur ist, ist diesen negativen Gefühlen stärker ausgesetzt, als es die Natur selber ist. Denn noch immer reden die Bäume zu den Menschen und hoffen, dass sie sie verstehen.“ Lange Zeit schwieg das Mädchen auf diese Worte hin und schaute niedergeschlagen auf den von dünnem Schnee bedeckten Boden. „Kann ich lernen sie zu verstehen?“
9. Kapitel
Das Ende der Woche, das ähnlich dem Schwerte Damokles‘ ständig drohend über Hiwas Kopf hing, rauschte wie im Flug heran. Jeder Tag war geprägt von demselben Ablauf, der ihr eine Teilnahme am dörfischen Leben lediglich zu den Abendstunden erlaubte und sie sonst von früh morgens ab in den Armen der Natur und zwischen von Schnee bedeckten Bäumen den Worten des alten Mannes lauschen ließ. Am Abend des letzten Tages, den sie zum ersten Mal zur Gänze im Dorf verbringen durfte, erklang ein lautes Rascheln am Rande des Dorfes. Die Dorfbewohner streckten ihre Köpfe voller Furcht vor einem neuen Angriff aus den Fenstern und hier und dort erklangen Stimmen, die von der zu großen Ruhe in den letzten Tagen sprachen, die sie als Anzeichen für den nun kommenden Sturm sahen. Als sich die ersten bereits anschickten um wie vor einer Woche mit Feuer und behelfsmäßigen Waffen ihre Liebsten zu verteidigen, trat Hiwa aus der Hütte, in der sie hatte nächtigen dürfen. Ohne ein Wort ging sie an der kleinen Gruppe Männer vorbei, legte einem nach den anderen beruhigend die Hand auf die Schulter und ging alleine gen Waldgrenze. Einen merkwürdigen Einfluss hatte sie auf die Bewohner, die sich langsam zurückzogen aber erst zur Ruhe kamen, als sie das Mädchen begleitet von einem großen Schatten im Dunkel des Waldes hatten verschwinden sehen.
Hiwas Reise führte sie entlang an den ihr bekannten Bäumen und Lichtungen immer tiefer in den riesigen Wald. Stumm folgte sie dem Schatten des großen Tigers, dessen weißes Fell gelegentlich im Lichte eines vorwitzigen Mondstrahles aufzuglühen schien, aber dann sofort wieder erlosch. Kein Wort verlor das imposante Tier und ließ ihr somit sowohl die nötige Ruhe als auch Zeit um sich auf das Kommende vorzubereiten. Viele Stunden lang liefen sie so an riesigen schneebedeckten Bäumen vorbei, deren imposante Statur Geschichten über Zeiten zu erzählen schien, in denen der Waldgott friedlich durch diese vergessenen Haine wandelte und den Bäumen dabei half zu wachsen. Immer weiter ging die Reise durch das Reich des Waldgottes und schließlich kündigte ein gewaltiges Tosen vom nahen Ende des Weges. Und als der große Tiger zum ersten Mal seit Stunden anhielt, um den Kopf gen der Quelle des Geräusches zu wenden, stockte Hiwa der Atem. Vor ihnen erstreckte sich ein riesiger Wasserfall, der seine Wassermassen von der Spitze eines hohen Berges hinab zu einem See schickte, der sich zu ihren Füßen erstreckte. Das aufgespritzte Wasser verteilte sich vom Berg herab langsam über die gesamte Lichtung , fing das Mondlicht ein und ließ die Umgebung gleich millionen winziger fallender Sterne in dessen silbrigen Licht erstrahlen. „Dort oben ist Xing Lu’s Hain. Es ist lange her, seit ich dort war, und noch länger ist es her, seitdem die Füße eines Menschen diesen Boden berührt haben... Um dort hinauf zu kommen, wirst du auf meinen Rücken steigen und dich gut festhalten müssen.“ Erklang die tiefe Stimme des Tigers, der sich auf den Boden gelegt hatte und geduldig abwartete, bis Hiwa auf seinen Rücken gestiegen war. Erst dann erhob er sich wieder und hätten sich ihre Hände nicht in dem weißen Fell verkrallt, so wäre sie bei den folgenden gewaltigen Sprüngen des Tieres, die die Zwei in Windeseile dem Scheitel des Wasserfalls näher brachten, sicherlich in die Tiefe gestürzt. So aber erblickte sie bald, nachdem sie sich wieder getraut hatte ihre Augen zu öffnen, einen wunderschönen silbern glänzenden See, dessen Oberfläche so glatt wie ein Spiegel den Sternenhimmel reflektierte und dem Auge vorgaukelte einen zweiten Himmel zu den eigenen Füßen zu sehen, samt einer dunkelgrünen Wiese, die gespickt von allerhand Blumen ohne den Makel einer einzigen Schneeflocke dem Winter trotzte. Sie war im Hain des Waldgottes angekommen und erst, als sie die Augen von dessen Schönheit abwenden konnte, erblickte sie eine dunkle Gestalt, die auf der Insel mitten im See zu warten schien.
10. Kapitel
Vollkommen still lief Bai Hu an der Seite Hiwas über die wunderschöne Wiese dem See, der Insel und der Gestalt auf dieser entgegen. Sogar das große Tier, das in seinem Leben schon so viel erlebt hatte, war ob dem, was kommen würde, angespannt und dabei unbewusst in sein Jagdverhalten zurückgefallen. Kein Wort verlor er, kein ungestüm umgeknickter Grashalm oder unvorsichtig berührter Kieselstein sprach vom Gang des Tieres und hätte er nicht gelegentlich tief Luft geholt, um nicht vor Anspannung zu platzen, so hätte Hiwa ihn wahrscheinlich völlig vergessen. Das Mädchen indes lief mit ruhigem und bestimmten Schritten auf den See zu, ließ sich von dem Tiger mit einem Sprung über diesen befördern, und glitt ohne aus der Ruhe zu kommen von dessen Rücken direkt auf die kleine vom Schatten einer Wolke verdeckte Insel vor die dunkle Gestalt. Der Blick zweier großer violetter Augen legte sich auf sie, als ihre eigenen Augen sich langsam erst dazu überwinden mussten die ungewöhnlichen Pfoten, die einer Mischung aus Menschenfüßen und Bärentatzen zu entsprechen schienen, und dann den im Schatten liegenden Körper hinauf bis zu den Augen des Wesens zu betrachten. Als sich der Blick der zwei Wesen traf, stockte dem Mädchen der Atem und für einen Moment fühlte sie die bodenlose Wut des Schattens vor ihr. Erst nach einigen Momenten fiel ihr auf, dass sich der Tiger neben ihr vor dem Wesen verneigte und so tat sie es ihm schnell und etwas überhastet gleich. „Es ist lange her Bai Hu.“ Ertönte die Stimme des Wesens schneidend wie der Wind im Herbst sofort, als sich Hiwa verneigt hatte, als ob das Wesen darauf gewartet hätte. „Xinglu.“ Antwortete der Tiger schlicht, aber ehrerbietend. „Sag mir, warum muss mein Hain die Füße dieser Kreatur ertragen? Warum beschütztest du es vor meinem Urteil?“ „Weil ich versprach sie zu beschützen und ihr zu helfen, weil sie mit deinem Urteil über die Menschen des Dorfes nichts zu tun hatte und weil die Menschen nicht das sind, was du in ihnen siehst.“ „Xinglu’s Urteil betrifft alle Menschen!“ Ertönte die wütende tiefe Stimme der riesigen Schildkröte, als sich diese aus dem See erhob und geschwind auf die Insel neben den Schatten schob. „Und warum maßt du es dir an ein Urteil über Xinglu’s Urteil zu fällen Bai Hu?“ Der Tiger atmete tief ein, um zu einer Antwort auf den Angriff Xuan Wu’s anzusetzen, aber die Stimme des Schattens ließ ihn innehalten. „Ich habe Bai Hu’s Gründe gehört und im Moment soll mir dies reichen.“ Der Blick der violetten Augen richtete sich wieder auf Hiwa. „Nun erzähl mir deinen Namen kleine Kreatur und begründe mir, warum du ein Wesen vor meinem Urteil bewahrtest.“ Aber dem Mädchen stockte der Atem abermals, als es nun die volle Aufmerksamkeit auf sich lasten fühlte. Nervös spielte sie mit ihren Daumen und hatte ihren Blick gen Boden gerichtet, als sie endlich die Kraft fand zu antworten: „Mein Name ist Hiwa… Und ich wollte einfach nicht zulassen, dass ein kleines hilfloses Wesen vor meinen Augen stirbt, weil ich nicht eingriff… Nicht noch einmal…“ Bilder des roten Vogels schossen aus ihrem Gedächtnis hervor und trieben ihr Tränen der Trauer in die Augen. „Nicht noch einmal?... Ich muss jeden Tag dabei zusehen, wie kleine hilflose Wesen vor meinen Augen sterben, weil andere Wesen maßlos leben wollen… Nicht noch einmal… Ich kann es nicht fassen… Was weißt du kleine Kreatur denn schon von Leben und Tod?“ Die Stimme des Schattens, war sie zuvor schon schneidend gewesen, hatte sich nun auch noch gleich einem Orkan erhoben und donnerte ehrfuchrterregend über den Hain, so dass ein jeder, der sie vernehmen konnte, den Kopf einzog und still ausharren wollte, bis der Sturm vorbei war. „Sie weiß so viel wie man eben in einem Leben in der Natur lernen kann.“ Erschallte auf einmal eine hohe Stimme, die vom Himmel zu kommen schien. „Sie hat die tägliche Furcht und Ungewissheit gespürt, hat die Freuden über die einfachsten Dinge genossen und die Trauer über den Verlust der wertvollsten Dinge erlebt. Maßt du dir nun schon an das Recht auf Trauer und Schmerz gepachtet zu haben Xinglu?“ Und plötzlich landete direkt hinter Hiwa ein großer Vogel, von dessen Federkleid sich ein paar rote Federn lösten und langsam um das Mädchen herum zu Boden glitten. Beim Anblick dieser Federn schossen dem Mädchen nur noch mehr Tränen in die Augen und sie befürchtete, dass ihr Kopf ihr einen Streich spielen würde, denn diese Federn würde sie überall wiedererkennen. „Bist du so verbittert Xinglu, dass du nicht einmal erkennst, dass dieses Mädchen erst einige wenige Sommer alt ist, aber durch das Leben und die Reise in der Natur viel schneller gealtert und gewachsen ist? Erkennst du nicht, was du vor dir siehst?“ „Zhu Que… worauf willst du hinaus? Erklär dich, wenn du dich schon einmal zu uns auf den Boden herablässt!“ Donnerte der Schatten abermals entgegen. „Die Natur selber hat Hiwa auf ihrer Reise geholfen und sie wachsen lassen, um sie auf das kommende vorzubereiten. Willst du als Wächter und Aspekt dich nun gegen den Willen der Natur stellen?“ Ein tiefes Rauschen war zu hören, als der Schatten sich zu Hiwa hinab beugte und zielsicher ihrem Gesicht entgegen atmete und sie näher betrachtete. Hätte das Mädchen dies normalerweise als sehr unangenehm empfunden und sich scheu weggedreht, so blieb sie wie angewurzelt stehen und betrachtete sich stattdessen ebenfalls eingehend. Sie hatte vor Wochen, vielleicht vor Monaten sogar aufgehört sich selber zu betrachten und so war ihr nie aufgefallen, dass ihr Körper in ihren einstmals kindlichen Augen riesige Züge angenommen hatte. Sie war stark gewachsen, hatte wahrscheinlich Kigiku eingeholt und noch ein wenig weiter gewachsen. Unter ihrer Jacke wölbten sich zwei Hügel nach außen, deren Maße wohl noch wachsen würden, wenn sie sich wieder einigermaßen ernähren würde. Auch ihr Haar war immer länger geworden und glich der goldenen Mähne eines Löwen. War sie vor ihrer Reise noch ein normales 10 Jahre altes Mädchen gewesen, so glich ihre Statur nun mehr der einer 15jährigen. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und verlor ob dieser Erkenntnis auch für einen kurzen Moment den Gedankengang, der ihr zuvor die Tränen in die Augen getrieben hatte. Aber dann brachte ihn eine rote Feder, die direkt vor ihren Füßen lag, wieder zurück. „Du bist doch der kleine rote Vogel oder? Du lebst?“ Hauchte sie mit nach oben gerichteten Gesicht dem Kopf des gewaltigen Vogels entgegen, der hinter ihr saß und dessen Oberkörper über ihr aufragte.
11. Kapitel
„Ja Hiwa ich lebe.“ Antwortete der Vogel mit sanfter Stimme, so dass Hiwa fast der Meinung war ein Lächeln auf dem weit entfernten Gesicht erkennen zu können. „Nicht nur ergreifst auch noch du Partei für diese Kreatur, sondern du kennst sie auch noch Zhu Que? Was geht hier vor?!“ Schaltete sich die schwarze Schildkröte erneut ein und der große Vogel holte tief Luft, um zu einer Erklärung anzusetzen. „Dass ihr es nicht vernommen habt, wundert mich nicht, aber vor fast einem Jahr vernahm ich die Klagen eines kleinen Baches weit im Westen. Als ich mich ihm näherte und ihn fragte, was es mit seinen traurigen Worten auf sich habe, erzählte er mir von seinem Fehler. Er habe, so berichtete er mir, in dem Versuch ein kleines Mädchen mit blondem Haar aufzumuntern einen alten Wanderer zu dieser gelockt, damit dieser sie mit seinen Geschichten aufmuntern könne. Als der Wanderer dem Mädchen von dem Waldgott erzählte, schnappte dieses sich seine Sachen und lief los, um den Waldgott zu finden und um Hilfe zu bitten. Aber wie sollte ein kleines Mädchen alleine überleben? Ich beschloss also dem Bach zu helfen und dem Mädchen beizustehen. So begleitete ich Hiwa, das Mädchen aus der Geschichte des Baches, als kleiner Vogel und lehrte sie durch mein Beispiel vom Leben in der Natur. Als der Herbst kam und die Zeit meiner Herrschaft sich dem Ende entgegen neigte, traf ich Bai Hu und bat ihn mir zu helfen. Fortan übernahm er es Hiwa zu begleiten, nachdem wir es so haben aussehen lassen als ob ich durch die Krallen Bai Hu’s gestorben wäre. Während wir uns aber um Hiwa kümmerten, bemühte sich die Natur selber ebenfalls um Hiwa, half ihr beim Wachsen, beim Verstehen und beim Leben. Schon bald hätte sie uns nicht mehr gebraucht, aber wir waren zu neugierig auf das, was kommen könnte.“
Lange Zeit herrschte Stille, während der Schatten Hiwa eingehend musterte. Schließlich aber erhob er die Stimme, deren Worte er scheinbar direkt an Hiwa richtete. „Würde ich dich am liebsten auf der Stelle zertreten für den Verstoß gegen mein Urteil, für die Schritte auf dem Boden meines Haines und für die Anmaßung, in der sich jene zwei auf deine Seite stellten und dich beschützten, so kann ich doch das Wirken der Natur an und in dir sehen. Nun stelle ich dir also folgende Frage: Würdest du das Dorf, deren Bewohner dir in der letzten Woche Obdach gewährten, verlassen und zulassen, dass ich es mitsamt seiner Bewohner vernichte, wenn ich dafür deine Schwester Kigiku heile?“ Hiwas Augen weiteten sich bei diesem Angebot genau so sehr wie sich die Augen des Vogels und des Tigers vor Wut verengten. Beide waren außer sich vor Zorn über die Hinterlist der Worte ihres Gottes, aber keiner von beiden hatte das Recht den Mund zu öffnen. „Woher weißt du von Kigiku?“ Antwortete Hiwa stockend, woraufhin der Schatten lediglich tiefkehlig lachte. „Ich weiß viele Dinge. Nun aber entscheide dich und lass dich nicht davon einnehmen, dass du deine Schwester nicht mehr lebendig antreffen würdest, wenn du dich jetzt auf den Rückweg begibst.“ Woraufhin der Schatten erneut lachte.
12. Kapitel
Immer mehr Tränen schossen Hiwa in die Augen, ließen diese nach und nach überquellen und liefen dann eine nach der anderen die Wangen des Mädchens hinab, bis sie sich von diesen lösten und gen Boden fielen. Die kommende Entscheidung war die schwerste, die sie jemals hatte treffen müssen und es war der erste Moment, in dem sie ihre Reise in Frage stellte. „Ich… Die Menschen sollen leben.“ Brachte sie schluchzend hervor und sah gleichzeitig ihre kranke Schwester vor ihren Augen, deren endgültiges Todesurteil sie nun unterschrieben hatte und die sie wohl nie wieder sehen würde. „Was?!? Du maßt es dir an…?!?“ Donnerte die Stimme des Schattens wieder hervor, wurde aber von Bai Hu abrupt unterbrochen. „Sie hat sich entschieden Xinglu. Hör auf mit deinen Spielen und sieh ein, dass du dich geirrt hast.“ „Gut, ich stehe zu meinem Wort. Aber ich habe nirgends von dem Leben des Mädchens geredet. Sie hat sich meinem Urteil entgegen gestellt und muss nun die Konsequenzen tragen!“ Schreckhaft atmete Hiwa ein und schaute mit geweiteten Augen auf den Schatten vor sich. „Aber ich darf nicht ohne Weiteres nehmen, was die Natur gewährt hat… Also wirst du dir dein Leben verdienen müssen kleines Mädchen. Schließe die Augen und lass mich sehen, ob der Geist der Natur wirklich in deinen Knochen steckt.“ Und so sehr Hiwa auch dagegen ankämpfte, ihre Augenlider schoben sich unweigerlich vor ihre Pupillen und schon bald verschwammen die Bilder vor ihren Augen und die Gedanken in ihrem Kopf.
Sie spürte weiches feuchtes Gras zwischen ihren blanken Zehen und eine Eule schickte ihren Ruf durch die Luft vorbei an ihren Ohren. Als sie die Augen langsam öffnete, sah sie sich inmitten eines großen Waldes stehen, deren Bäume genauso wie der Wald selber kein sichtbares Ende zu haben schienen. Alles an dem Wald wirkte merkwürdig urtümlich und erinnerte sie an die riesigen Bäume, die sie in der Nähe des Wasserfalls und des Haines gesehen hatte. Erneut riss sie der Schrei der Eule aus den Gedanken und ließ in diesen Platz genug für die Erkenntnis, dass die Sonne gerade untergegangen war und die Schatten im Wald immer mehr die Oberhand gewannen. Und dann spürte sie es, eine Präsenz im Schatten und der Blick unsichtbarer Augen auf ihrem Rücken. Die feinen Härchen auf ihrem Nacken stellten sich auf, sie machte einen zaghaften Schritt nach hinten und drehte sich dann plötzlich herum um loszurennen.
13. Kapitel
Der Wind pfiff ihr ins Gesicht, sauste ihr um die Ohren und ließ den Klang seiner Stimme in diesen erklingen. Immer wieder schlugen ihr kleinere Äste, die sie nicht rechtzeitig bemerkt hatte, gegen den Körper und hinterließen an diesem immer mehr kleine Schnitte aus denen schon bald feine Bluttropfen hervorquollen. Schneller und schneller lief Hiwa durch den dunklen Wald, der sein wunderschönes Kleid abgelegt hatte und ihr nun seine dunkle und gefährliche Seite zeigte. Wie konnte dies nur derselbe Wald, derselbe Ort sein, der sie mit den ersten Bildern verzaubert hatte? Fragte sie sich, als sie sich in Sicherheit wähnend an einen Baum lehnte und umschaute. Schon seit einiger Zeit hatte sie die Präsenz in ihrem Rücken nicht mehr gespürt. Sollte sie dieses Etwas wirklich abgehängt haben? Sie schaute sich nervös um, ließ den Blick ihrer Augen durch die Dunkelheit wandern und versuchte ihr pochendes Herz zu beruhigen. Es war schwer in der Dunkelheit überhaupt etwas auszumachen und immer wieder machte ihr Herz einen furchtsamen Sprung, wenn die Schatten der Bäume ihr obskure Wesen, die mit langen feingliedrigen Armen in der Dunkelheit zu tanzen schienen, vorspielten. Plötzlich blitzte in der Dunkelheit etwas auf. Noch bevor sich die Härchen auf ihrem Nacken aufstellen konnten, war sie schon wieder losgerannt und hetzte durch den Wald. Das Blut, das sich in der kurzen Zeit der Rast auf ihrer Haut gesammelt hatte, wurde vom Gegenwind weggeweht und hinterließ eine feine rote Spur, der man viel zu leicht folgen konnte. Wie sollte sie nur dem Schrecken, der mit Sicherheit den Tod bringen würde, entkommen? Wie sollte sie den Anbruch des Tages und das erste Licht, das die Schatten vertreiben würde, nur wieder erleben? Und wie sollte auch nur ein Mensch in dieser schrecklichen Umgebung überleben können? Völlig außer Atem rannte das Mädchen dennoch weiter. Immer, wenn sie die Gefahr gegen einen Baum zu laufen ignorierend einen Blick über die Schulter warf, konnte sie einen formlosen Schatten im Schatten sehen, der der blutigen Spur folgte. Nein sie wunderte sich nicht mehr, dass die Menschen sich vor dieser Umgebung fürchteten und die Natur verändern wollten, um in ihr zu überleben. In dieser schrecklichen Umgebung würden sie nie anders überleben können! „Vieles, das auf den ersten Blick schrecklich wirkt, ist nur ungewohnt für die Augen.“ Ertönte plötzlich die raue Stimme des alten Mannes in ihrem Kopf und sie erinnerte sich an die vielen Stunden, in denen er ihr eigentlich nur von der Natur erzählte. „ Ein Wolf tötet nicht, weil er grausam sein möchte. Ein Wolf tötet, weil er überleben will. Der Wille zu Überleben ist das, was uns alle – selbst die Pflanzen – vereint.“ Aber dieses Ding, was auch immer es ist, ist böse! Das konnte sie deutlich spüren. Sie konnte spüren wie es Millimeter um Millimeter näher kam, sich wieder zurückfallen ließ und dann wieder langsam näher kam. Und das alles nur, um mit ihr zu spielen, um ihr den Schrecken in Mark und Bein zu jagen! „Wahre Boshaftigkeit gibt es in der Natur nicht. Sie ist eine Erfindung der Menschen, um die Natur zu verteufeln.“ Aber sie konnte das Böse in diesem Ding eindeutig spüren. Und inmitten dieser schrecklichen Umgebung war niemand, der ihr helfen konnte. Sie war alleine. „Niemals bist du alleine. Stets wirst du einen Baum, eine Blume oder zumindest einen Grashalm in der Nähe finden. Deine Mutter wird immer da sein und dich beschützen.“ Und auf einmal blieb Hiwa stehen. Langsam drehte sie sich zur Seite und legte die Stirn gegen die Rinde eines der riesigen Bäume. Wie hatte sie nur diese sanften Riesen verteufeln können? Wie hatte sie nur diese Umgebung als schrecklich bezeichnen können? Sie schloss die Augen und wartete auf die Schritte, die sich sicher bald nähern und ihren Tod bedeuten würden. Aber sie würde nicht mehr rennen. Sie vertraute auf ihre Mutter und legte ihr Leben in deren Arme. Und dann hörte sie ein leises Flüstern. „Wie sich die Arme an mich lehnt. Oh du Arme, hör auf zu weinen.“ „Das sind keine Tränen, das ist Blut. Bist du zu hölzern geworden um den Unterschied zu merken?“ „Sie blutet? Warum denn nur?“ „Weil selbst kleine Äste die weiche Haut zerschneiden können.“ „Schau nur wie sie zittert.“ „Wie gerne würde ich ihr helfen.“ „Ich auch.“ „Ich auch.“ „Aber sie kann uns nicht hören.“ „Wir können sie nicht trösten.“ „Wir können sie nicht beschützen.“ „Würde sie uns nur hören können.“ „Wieso kann sie uns nicht hören?“
„Ich kann euch hören!“ Schrie Hiwa mit all ihrer Kraft. „Bitte helft mir!“
„Sie kann uns hören?“ „Sie möchte unsere Hilfe?“ „Wie lange ist es her?“ „Sollen wir singen?“ „Ja lasst uns singen!“ „Ja..Singen!“ Und plötzlich schwoll das Flüstern, war es zuerst noch leise und kaum zu hören gewesen, immer weiter an, gewann an Stärke und glich schon bald einem Orkan aus unterschiedlichen Stimmen, die durcheinander riefen. Nach und nach hörten die Stimmen auf zu rufen und fingen stattdessen an leise zu summen. Das Summen wurde immer lauter, übertönte schließlich die letzten Stimmen und brachte mit seinen tiefen Tönen Hiwas Innere sanft zum vibrieren. Eine tiefe und warme Stimme erschallte, sang von den Strahlen der Sonne und den Tränen des Mondes und plötzlich setzten alle Stimmen in dieses Lied mit ein. Es war das Lied der Schöpfung, die Erzählungen des ersten Baumes, der als Knospe miterlebt hatte wie Mond und Sonne von den Göttern auseinander gerissen wurden und fortan nie wieder zusammen sein und zugleich erstrahlen durften. Um wenigstens die Wärme des anderen und dessen Spiegelbild für wenige Momente zu erhaschen, nachdem dieser schwinden musste, erschufen die Zwei die Natur und die Wärme der Sonnenstrahlen sowie die Liebe in den Mondtränen hauchten der kargen Erde Leben ein. Der Erste aber, der stark genug gewesen war vor all diesem bereits als Knospe den Boden zu durchbrechen, wuchs und wuchs bis er groß und prächtig war. Er war der Stärkste von allen und schließlich hob ihn der Mond aus der Erde und gab ihm die Fähigkeit zu wandern. So wurde der Erste als Xinglu, der Wanderer, bekannt.
„Sie ist eingeschlafen.“ „Sie ist sicher.“ „Der Schatten ist fort.“ Das Flüstern der Bäume, sehr zaghaft und leise um das Mädchen nicht zu wecken, flog einige Zeit später dem Winde gleich wieder durch die Luft. „Sie muss zurück.“ „Ja das muss sie.“
14. Kapitel
„Hört ihr das? Sie singen! Sie singen für das Mädchen, sie singen für Hiwa!“ Stellte die große Schildkröte fassungslos fest, während sie sich im Kreis drehte und dem Lied der Bäume lauschte. Das Geräusch des schabenden Panzers zusammen mit den Worten aus tiefer Kehle drangen durch die Schleier des Schlafes und holten Hiwa aus diesem empor. „Sie kommt zu sich. Sie hat überlebt!“ Ertönte die Stimme des Vogels ganz nah vor Hiwas Gesicht. Und als sie die Augen öffnete, sah sie die Gesichter des Vogels und des Tigers dicht über ihrem eigenen schweben und sie mit besorgten Blicken anschauten, bevor sie anfingen breit zu lächeln. „Wo bin ich?“ Murmelte sie schlaftrunken, während sie sich den Schlaf aus den Augen rieb. „Du bist im Hain des Waldgottes. Du hast geschlafen und wurdest im Traum auf die Probe gestellt.“ Antwortete Bai Hu, der sich mit einem langgestreckten Seufzer anscheinend nach einer halben Ewigkeit wieder legte und sich wohlig streckte. „Habe ich bestanden?“ Zhu Que öffnete den Schnabel, anscheinend um antworten zu wollen, aber die tiefe Stimme Xinglu’s unterbrach ihn. „Du hast mehr als das.“ Der riesige Schatten bewegte sich zum ersten Mal, seitdem Hiwa im Hain war, und schob sich langsam in das fahle Licht des Mondes. „Niemals hätte ich erwartet, dass sie für dich singen würden. Niemals hätte ich erwartet, dass sie dieses Lied anstimmen würden.“ Murmelte das Wesen, dessen Körperbau dem eines Menschen glich, nur glichen Hände und Füße mehr einer Mischung aus Menschenhand und Bärentatze und die Haut schien aus einer rissigen und vor Alter schon schwarz gewordenen Baumrinde zu bestehen. Das Gesicht schließlich war dem eines Hirsches nachempfunden, nur dass sich Flechten aus großen Baumblättern vom Kopf über die Schultern des Wesens ergossen. „Sie sangen von dir nicht wahr?“ Fragte Hiwa das Wesen, dessen große Augen von großer Trauer sprachen. „Ja. Ich habe dieses Lied geschrieben und es einem jeden Baum früher vorgesungen, wenn er noch klein und schwach war. Das Lied half ihnen zu wachsen und den Gezeiten zu widerstehen, so dass sie fast so groß wurden wie ich einst. Deswegen nennt man es auch das Baumlied. Früher kannte es ein jeder Baum.“ „Deswegen sind die Bäume in der Nähe des Haines also so groß und der Winter dem Hain so fern!“ „Früher waren alle Bäume so groß. Damals wanderte der Wanderer noch jeden Tag über die Erde und sang zu jedem Baum.“ Mischte sich eine raue Stimme plötzlich ein und alle, egal ob Mensch, Tier oder Gott wandten dem Ursprung der Stimme den Kopf zu. Ein alter Mann kam mit hinkenden Schritten über die Wiese dem See und der Insel entgegen und winkte dem Mädchen entgegen, das die Augen vor Staunen weit aufgerissen hatte. „Du? Was machst du denn hier?“ Rief sie ihm entgegen. Anstatt aber eine Antwort des Mannes zu erhalten, erklang die Stimme des Waldgottes. „Quing Long. Jetzt wundert mich gar nichts mehr. Hast du Hiwa beigebracht zu den Bäumen zu sprechen?“ „Ich habe ihr lediglich von der Natur erzählt Xinglu. Alles Weitere hat sie selber erlernt.“ „Quing Long?“ Verwirrt schaute Hiwa zwischen dem Alten und Xinglu hin und her. Auf dem Gesicht des Alten aber, der am nahen Ufer des Sees angelangt war, bildete sich ein Lächeln und plötzlich erhob sich an derselben Stelle, an der der Alte soeben gestanden hatte, ein großer blauer Drache in die Luft, nur um neben Xinglu wieder zu landen. „Du hast es schon immer geliebt dich zu verkleiden.“ Murmelte die Schildkröte. „Du musst verstehen, dass ich dir nicht die Wahrheit zeigen durfte Hiwa. Ich bin der Letzte der Vier und Erster des Kreises. Xuan Wu, Zhu Que, Bai Hu und ich, Quing Long sind die 4 Wächter des Waldgottes und die ersten der Tiere, zu denen er wie zu den Bäumen sang. Ein jeder von uns ist die Inkarnation einer der Jahreszeiten. Ich bin der Frühling, Zhu Que ist der Sommer, Bai Hu ist der Herbst und Xuan Wu ist der Winter. Einst wandelten wir an der Seite Xinglu’s über die Erde. Als er sich aber veränderte, wandten drei von uns ihm den Rücken zu und nur Xuan Wu blieb bei ihm.“ „Aber was habe ich damit zu tun? Ich wollte doch nur Kigiku retten.“ „Und in diesem einfach Streben hast du es geschafft mich an die Anfänge und das Gute in euch Menschen zu erinnern. Ich war es, der dich im Wald der Träume gejagt hat und hätten dir die Bäume nicht geholfen, so hätte dein Herz schließlich vor Angst aufgehört zu schlagen. Als aber die Bäume anfingen zu singen, da erinnerte ich mich. Sie sangen aber nicht nur von mir, sondern auch von dir. Sie sangen davon wie viel Angst du in der Dunkelheit hast, was für einen Weg du zurücklegen musstest und wie gerne sie dir helfen würden. Und mit jedem Wort verflog mein Hass und ich fing an euch Menschen zu verstehen.“ „Ich habe gar nicht gehört, dass sie von mir sangen. Hat diese wunderschöne tiefe Stimme etwa auch über mich gesungen?“ „Wunderschöne tiefe Stimme?“ Schaltete sich Quing Long plötzlich ein und wechselte einige Blicke mit den drei anderen, während Xinglu die violetten Augen geschlossen hatte. „Sie hat dich singen hören Xinglu? Wie ist das möglich? Du hast schon so lange nicht mehr gesungen.“ Brummte Bai Hu verdutzt. „Sie erinnern sich noch immer daran wie ich zu ihnen sang. Und aus der Erinnerung heraus haben sie meine Stimme scheinbar beschworen. Es ist zu lange her, dass ich zu ihnen gesungen haben, und ich habe kein Recht zu ihnen zu singen bei all dem, was ich getan habe.“ „Das stimmt nicht! Sie reden stets miteinander und die ältesten von ihnen erzählen den jüngeren von deinem Lied. Sie kennen es alle und werden es nie vergessen.“ „Mir fehlt aber die Kraft zum Wandern. Hass und Zorn haben meine Beine schwer werden lassen.“ Er wandte sich von dem weißen Tiger ab und dem Mädchen zu. „Nein ich hörte keine tiefe Stimme, sondern eine hohe. Ich hörte die Stimme eines jungen Drachen, der mich furchtlos anbrüllte. Die Bäume sangen von dem gelben Schuppenkleid des Drachen und von der Wärme im Herzen dieses Wesens. Hiwa sie sangen von dir und es war so viel Wahrheit in ihren Worten, die ich erst jetzt vernehmen konnte.“ „Warum guckst du so traurig Xinglu? Was hast du vor? Was hat das zu bedeuten?“ Fragte das Mädchen nun sichtlich besorgt um den Waldgott. „Es ist Zeit für mich das Geschenk, das mir der Mond einst gab, zurück zu geben. Ich habe meine Pflicht gegenüber meinen Brüdern und Schwestern vergessen und sie zu lange warten lassen. Ich sehne mich nach Ruhe Hiwa.“ Die Züge des Wesens erhellten sich und die Risse in der dunklen Rinde schlossen sich immer mehr. „Die Zeit des Wanderers ist vorbei. Zu lange habe ich mich dagegen gewehrt einzusehen, dass die Welt mich nicht mehr braucht. Es ist nun an der Zeit, dass die Jüngeren auf sich aufpassen. Vieles wird sich verändern, aber wenn ich höre wie die Bäume für dich singen, so bin ich mir sicher, dass es nicht nur schlecht sein wird.“ „Willst du uns wirklich verlassen Xinglu? Was sollen wir ohne dich machen? Was sollen wir alleine machen?“ Rief Zhu Que mit Trauer in der Stimme. „Helft dem gelben Drachen bei der Wahrung dessen, was wir einst zusammen auf unseren Reisen verbreiteten. Natürlich nur, wenn du willst Hiwa.“ Das Mädchen schaute in die großen violetten Augen und auf die immer heller werdende Rinde, durch die von Minute zu Minute mehr Leben zu pulsieren schien. „Was genau meinst du?“ „Vieles, was einst gut war, ist zerstört. Du hast mir aber gezeigt, dass nicht alles zerstört ist. Ich frage mich, ob sich Sonne und Mond so fühlten, als sie mich erblickten und das Leben erschufen…. Ich werde das Wandern aufgeben und wieder nur ein Baum sein, ein Baum der mit seinen Brüdern singt. Gerne werde ich von dem kleinen Mädchen singen, das zum gelben Drachen wurde, der den Beginn einer neuen Zeit darstellt. Ich würde gerne dabei zusehen, wie ein kleines Mädchen die Wunden, die ein alter Baum geschlagen hat, schließt und dabei hilft, dass wieder mehr Menschen das Lied der Bäume hören.“ Hiwa konnte die Trauer in dem Wesen vor sich so deutlich spüren, dass es ihr die Sprache verschlug. Aber nicht nur Trauer, sondern auch Freude über die Erlösung konnte sie spüren. Es hatte nicht lange gedauert bis ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten, so dass sie lediglich nicken konnte. Der Waldgott lächelte sie voller Wärme an und streckte sich dann zu seiner vollen Größe aus. Ein wohliges Seufzen entfuhr ihm, als die alten Glieder sich zum beinahe letzten Mal bewegten und er sich mit stummen Gesten von seinen vier Freunden verabschiedete, die auf ihre Art viel treuer waren als er es je bis zu diesem Moment vermutet hatte. Dann legte er die letzten Schritte bis zum Mittelpunkt der kleinen Insel zurück, streckte sich erneut und seufzte dabei langgezogen. Ein Rascheln und Rauschen war zu hören, als sich riesige Wurzeln in den Boden gruben und gewaltige Äste in die Höhe streckten. So schnell geschah alles, dass nur wenige Momente später sich dort, wo noch eben die Gestalt des Waldgottes gestanden hatte, ein gewaltiger Baum in die Höhe streckte und seine riesigen Äste weit über den See hängen ließ. Das gewaltige Blätterdach des Baumes erstreckte sich über den gesamten Hain und schützte diesen gleich einer Decke.
Epilog
So verlor der Waldgott seinen Namen und war wieder nur der Erste. Im selben Moment aber erschallte zum ersten Mal seit langer Zeit die tiefe Stimme des Waldgottes und sang begleitet von vielen seiner Brüder das Lied des gelben Drachens, so wie es hier geschrieben steht. Lieder aber sind die älteste Form des Übernatürlichen und oft findet man in ihnen bereits einen Teil der Zukunft beschrieben. So erfuhr der kleine Bach, an dem das Lied begann, davon wie Hiwa begleitet von Zhu Que, Bai Hu, Xuan Wu und Quing Long in das Dorf am Rand des großen Waldes kam und sowohl von dem Waldgott als auch von dessen Bedauern erzählten. Die Dorfbewohner hörten gerne den Geschichten dieser ungleichen Gruppe zu, ließen sich von diesen verzaubern und wollten alsbald den riesigen Baum selber sehen. Manche von ihnen blieben dort, andere verließen den Ort wieder, nur um von dessen Pracht zu erzählen. So gründete sich schon bald unter dem schützenden Dach des Waldgottes ein kleines Dorf. Die vier Wächter, die es nun als Aufgabe ansahen neben dem Waldgott auch noch das Dorf und Hiwa zu beschützen, blieben bei den Menschen und halfen dem Mädchen dabei zu beschützen, zu trösten, zu beruhigen, zu lenken und vor allem zu erzählen und zu singen. Zwei Jahre später, als die ersten Schneeflocken vom Himmel fielen und die mittlerweile zur jungen Frau herangewachsene Hiwa an die stürmische Nacht erinnerten, in der sie zum ersten Mal von dieser Welt erfuhr, wenn auch nur reichlich verwirrende Bruchstücke, stapfte eine vermummte Gestalt den schmalen von den Bewohnern angelegten Weg zum Hain empor. Eine helle Stimme, ihr merkwürdig bekannt aber doch in den Wirren der Erinnerungen verloren, riss Hiwa aus den Erinnerungen und ließ sie von ihrem Platz am Rande des Sees aus in die Richtung der Gestalt sehen. Ihre Augen weiteten sich und füllten sich als bald mit Tränen, während ihre Füße über den von feinen Schneeflocken bedeckten Boden regelrecht flogen und sie in die weit geöffneten Arme der ihr entgegenlaufenden Kigiku trugen. Der Bach plätscherte fröhlich, als er von der Wiedervereinigung der Schwestern hörte und weigerte sich im kommenden Winter vehement dagegen zu erstarren und einzufrieren, so groß war seine Freude. Erst die tiefe Stimme des Waldgottes aus der Ferne sorgte dafür, dass er sich beruhigte und als der Bach langsam erstarrte und für den Winter einschlief, freute sich der Waldgott über jenes letzte Geschenk, das er den Menschen und besonders seiner Hiwa geben konnte.
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